Resignation und Depression als Folge von Traumatisierung

Ein kleiner Junge, etwa 1 ½ Jahre alt, beobachtet seine Mutter dabei, wie sie seinen neu geborenen Bruder stillt. In ihm wird eine tiefe Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit wach und er möchte auch gehalten werden. Er geht hin und versucht seiner Mutter seine Sehnsucht zu zeigen. Sie versteht ihn nicht und schickt ihn weg. Sie möchte nicht gestört werden…

 

Der kleine Junge ist der kleine Volkmar, der ich vor sehr langer Zeit einmal war – und diese oder ähnliche Szenen dürften sich jeden Tag in jedem Dorf oder jeder Stadt Deutschlands abspielen (und natürlich auch in anderen Ländern), denn wir leben in einer Welt in der fast alle Kinder an einem chronischem Mangel an liebevoller Zuwendung leiden – und als Eltern können wir es nicht einmal merken, weil es in dieser Welt so normal ist. Zudem sind unsere Eltern (und alle unsere Vorfahren) selbst so aufgewachsen und es ist schwer, NICHT zu denken, dass das so sein muss. Alle Menschen (zumindest alle in der westlichen Welt) werden in eine Gesellschaft hineingeboren, in der z.B. die Überzeugung vorherrscht, dass Kinder gehorchen lernen müssen. Das sie Dominanz und Unterordnung lernen müssen. Und wir alle ringen mit den Konsequenzen dieser Überzeugung...

 

Wenn der kleine Volkmar solche Szenen nur einmal erlebt hätte und seine Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit immer wieder genährt worden wäre, wäre das wohl nicht derart prägend für ihn geworden. Leider waren solche und ähnliche Szenen normal und es war niemand da, der ihn mitfühlend verstanden hätte. Solche Szenen haben sich über viele Jahre immer wieder abgespielt und seine – meine Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit wurde (wie bei den allermeisten Kindern auch) nie bedingungslos genährt. Und so haben auch mich diese Erfahrungen traumatisiert, d.h. sie haben mich dazu gebracht, meine Sehnsucht zu unterdrücken und Ersatzbefriedigungen zu suchen (der Weg in die kleinen und großen Süchte). Und eigentlich ist es verwunderlich, dass ich auch heute noch nie ganz aufgebe für meine Bedürfnisse zu gehen; dass ich auch heute noch immer wieder aufs neue versuche meine Bedürfnisse zu nähren…

 

Allerdings spüre ich eben auch noch heute die Folgen davon: Ich habe immer wieder großen Widerstand dabei, um etwas für mich zu bitten, geschweige denn etwas zu fordern! Dessen bin ihc mir schon seit einigen Jahren bewusst, aber erst kürzlich ist mir aufgefallen, dass ich damit auch meine Lebendigkeit unterdrücke, denn die drückt sich ja durch die Trauer um hungrige und die Freude über genährte Bedürfnisse aus! Es ist viel leichter für mich, das was ich brauche zu unterdrücken, anstatt das Risiko einzugehen, wieder auf Ablehnung zu stoßen.

 

Wie bei jedem Menschen, geht dieses Unterdrücken der Lebendigkeit und damit der Bedürfnisse allerdings nur so lange gut, wie ich ausreichend Ersatzbefriedigungen für diese Bedürfnisse habe (alle großen und kleinen Süchte und ungewollten Gewohnheiten sind solche Ersatzbefriedigungen). Wenn die Bedürfnisse zu hungrig werden, MÜSSEN sie sich ausdrücken und dann drücken sie sich genau wie bei dem kleinen Volkmar auf eher unangemessene Weise aus und lösen bei den anderen Unverständnis aus...

 

Ein Spruch von Howard Thurmann, den ich schon vor vielen Jahren kennengelernt hatte, hat für mich erst kürzlich persönliche Bedeutung bekommen. Er geht so:

„Frage nicht, was die Welt braucht. Frage dich selbst, was dich lebendig macht, und gehe
und tue es, denn was die Welt braucht, das sind Menschen, die lebendig geworden sind.“

Und obwohl diese Zeilen in mir schon immer etwas angesprochen haben, war die Bedeutung rückblickend betrachtet für mich nicht greifbar.

 

Vor ein paar Tagen bin ich früh aufgewacht und mir wurde plötzlich bewusst, wie sehr ich in meinem Leben meine Lebendigkeit unterdrücke. Ein wichtiger Anfang für diese Unterdrückungsdynamik war wohl die oben beschriebene Dynamik, die einsetzte, als mein Bruder zur Welt kam: plötzlich war meine Mutter noch weniger für mich da. Ich sah wie sie meinem Bruder die Zuwendung gab, nach der ich mich so sehr sehnte und ich begann darum mit all meiner Lebendigkeit zu kämpfen.

 

Mein Kampf um Zuwendung hat meine Eltern wohl zwangsläufig immer wieder schnell überfordert und sie haben mit Ablehnung und Abweisung reagiert. Das war für mich natürlich immer wieder sehr schmerzhaft, weil es ja das Gegenteil dessen war, wonach ich mich gesehnt hatte. Und weil das immer wieder passierte und ich nicht die Erfahrung von mitfühlendem Verständnis und Zuwendung gemacht habe, wurde ich schon als Kind traumatisiert…

 

Was waren die Auswirkungen dieses Entwicklungstraumas? Wie schon angedeutet, wurde und wird in mir immer wieder ein Widerstand aktiv, wenn ich meine Lebendigkeit – und damit meine Sehnsucht (egal nach was) – spüre und zeigen will. Die Überzeugung: „Ich muss es alleine schaffen!“ war früh geboren – und sie begleitet mich noch heute. Diese Überzeugung möchte mich vor neuen Verletzungen schützen und sie hat mich dazu gebracht, meine Unabhängigkeit zu entwickeln – und meine Sehnsucht möglichst zu verbergen, damit ich nicht wieder so verletzt werde, wie es damals so lange, so oft passiert ist.

 

Der Schutz vor ähnlichen Verletzungen wie in der Vergangenheit, ist ja allgemein die Funktion von Traumata (und der damit zusammenhängenden Glaubenssätze) – nur leider bewirkt dieser Schutz immer wieder auch das Gegenteil. Entweder sorgt mein Widerstand dazu, dass meine ich meine Bedürfnisse so hungrig werden, dass ich andere (oft unbewusst) bitten muss – was dann oft als Forderung ankommt und deshalb wieder Ablehnung provoziert (so wirkt die Angst als selbsterfüllende Prophezeiung). Oder ich weiche in Ersatzbefriedigungen aus (die großen und kleinen Süchte, die in unserer Gesellschaft so weit verbreitet sind). In beiden Fällen das ist der Weg zur Sucht und Bedürfnisse.

 

Und vor ein paar Tagen sind mir die weitreichenden Konsequenzen dieses Entwicklungstraumas so deutlich geworden; mir wurde deutlich, wie sehr es noch heute mein gesamtes Leben bestimmt. Es zeigt sich zum Beispiel, wenn ich mich nach Nähe sehne und meine Freundin um eine Umarmung bitten möchte: ich spüre einen großen Widerstand, der mich meistens davon abhält zu fragen. Entweder ich mache es einfach oder ich gebe meine Sehnsucht auf…


Dieses Trauma hat sich auch in meinem Zertifizierungsprozess gezeigt: meine Assessorin hat es den Druck in den ich immer wieder kam, weil in dem Prozess wichtige Bedürfnisse von mir missachtet wurden, als Forderungsdruck erlebt, der ihre alten Verletzungen getriggert hat… Es zeigt sich sogar in meiner Schwierigkeiten, das was meine Stärken sind (vor allem Menschen bei der Umwandlung ihrer Traumata zu unterstützen), anzubieten: Um mich vor Ablehnung zu schützen, vermeide ich weitgehend, meine Angebote zu teilen (und wenn der „wirtschaftliche Druck“ zu groß wird, werbe ich dafür auch mal auf eine Art, die nicht sehr einladend ist…

 

Ich hab vor allem in meiner 15-jährigen GFK-Zeit und meiner inzwischen 10-jährigen Unterstützungsarbeit erfahren, dass sehr viele Menschen unter der Wirkung von Traumata leiden. Und seit vielen Jahren arbeite ich mit folgender Annahme und ich lade Dich ein, sie für Dich selbst zu testen:

Jeder Mensch leidet in unserer Gesellschaft an den Folgen von Traumata und diese Folgen zeigen sich in den unangenehmen Gefühlen, die wir immer wieder erleben und in den damit zusammenhängenden Überzeugungen und Glaubenssätzen
(Trauer und Schmerz fallen nicht unter die unangenehmen Gefühle, weil sie nicht als solche unangenehm sind. Ärger und Wut fallen darunter, obwohl sie nicht immer als unangenehm erlebt werden).

 

Was hältst Du von dieser Annahme? Du kannst sie selbst testen, indem Du Dir Deine Herausforderungen im Alltag anschaust; indem Du Dir anschaust, was in Dir unangenehme Gefühle auslöst. Dann kannst Du drei Dinge immer wieder üben:

1) Du kannst üben, Dich mit diesen Gefühlen anzufreunden und den Widerstand dagegen aufzulösen. Das funktioniert am Besten indem Du übst, die damit zusammenhängenden Empfindungen in Deinem Körper zu spüren und willkommen zu heißen.

2) Du kannst immer wieder üben, die Trauer der Sehnsucht zu spüren, die in den Unangenehmen Gefühlen und den damit zusammenhängenden Überzeugungen und Glaubenssätzen liegt.

3) Schließlich kannst Du immer wieder üben, die Ursache der Sehnsucht zu erspüren: Wie erlebst Du es, wenn diese Sehnsucht vollständig genährt ist? Wie fühlt sich Dein Körper an, wenn Du Dir das vorstellst?

 

Diese drei Übungen sind ein Teil der „Sieben Elemente der Selbstheilung“, die ich von Robert Gonzales (einer der erfahrensten GFK-Trainer – er hat sich sehr mit der Heilungsarbeit beschäftigt). Du kannst Dir meinen Text dazu anschauen oder die Übung dieser „Sieben Elemente der Selbstheilung“ in den kostenlosen Onlinegruppen selbst erfahren.

 

Ich bin neugierig, ob das was ich hier geschrieben habe, mit Deinen Erfahrungen übereinstimmt, oder ob du Widersprüche siehst!