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Grundlegende Annahmen und Absichten der gewaltfreien Kommunikation (GFK)

Von Inbal Kashtan und Miki Kashtan

 

Quelle: BayNVC.org/key-assumptions-and-intentions-of-nvc/

 

I. Annahmen, die der Praxis der GFK zugrunde liegen

 

Unsere Vorstellungen von der individuellen und kollektiven menschlichen Natur haben sich weiterentwickelt und werden sich weiter entwickeln. Diese Vorstellungen prägen unsere Erwartungen an das Mögliche, die sozialen Strukturen, die wir schaffen, und wie wir mit uns selbst und anderen Menschen umgehen. Deshalb können die Annahmen, die wir treffen, einen tiefgreifenden Einfluss auf das Leben haben, das wir leben, und auf die Welt, die wir gemeinsam erschaffen.

 

Im Folgenden sind die wichtigsten Annahmen aufgeführt, auf denen die GFK-Praxis aufbaut. Viele Traditionen teilen diese Annahmen; die GFK gibt uns konkrete, kraftvolle Werkzeuge an die Hand, um sie in die Praxis umzusetzen. Wenn wir auf der Grundlage dieser Annahmen leben, wird die Selbstverbundenheit und die Verbindung mit anderen zunehmend möglich und immer leichter.

  1. Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse: Wir alle haben die gleichen Bedürfnisse, obwohl die Strategien, mit denen wir diese Bedürfnisse erfüllen, unterschiedlich sein können. Konflikte treten auf der Ebene von Strategien in Verbindung mit Interpretationen auf, nicht auf der Ebene von Bedürfnissen.

  2. Alle Handlungen sind Versuche, Bedürfnisse zu befriedigen: Unser Wunsch, Bedürfnisse zu befriedigen, ob bewusst oder unbewusst, liegt jedem Handeln zugrunde. Wir greifen nur dann auf Gewalt oder andere Maßnahmen zurück, wenn wir die Existenz wirksamerer Strategien zur Befriedigung der Bedürfnisse nicht erkennen.

  3. Gefühle weisen darauf hin, dass Bedürfnisse befriedigt oder unbefriedigt sind: Gefühle können zwar durch andere ausgelöst, aber nicht verursacht werden. Unsere Gefühle entspringen direkt aus unserer Erfahrung, ob unsere Bedürfnisse unter den gegebenen Umständen befriedigt oder unbefriedigt erscheinen. Unsere Einschätzung, ob unsere Bedürfnisse befriedigt sind oder nicht, beinhaltet fast immer eine Interpretation oder eine Überzeugung. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, können wir uns glücklich, zufrieden, friedlich usw. fühlen. Wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, können wir uns traurig, verängstigt, frustriert usw. fühlen.

  4. Der direkteste Weg zum Frieden führt über die Selbstverbindung: Unsere Kapazität für den Frieden ist nicht davon abhängig, dass unsere Bedürfnisse befriedigt werden. Selbst wenn viele Bedürfnisse unbefriedigt sind, kann die Befriedigung unseres Bedürfnisses nach Selbstverbundenheit für den inneren Frieden ausreichend sein.

  5. Die Wahlmöglichkeit ist intern: Unabhängig von den Umständen können wir unser Bedürfnis nach Autonomie befriedigen, indem wir bewusste Entscheidungen treffen, die auf dem Wahrnehmen der Bedürfnisse basieren. Zumindest in Bezug auf die Wahl der Bedeutung, die wir den Umständen geben, haben wir immer eine Wahlmöglichkeit.

  6. Alle Menschen haben die Fähigkeit zum Mitgefühl: Wir haben eine angeborene Fähigkeit zum Mitgefühl, wenn auch nicht immer das Wissen, wie man darauf zugreifen kann. Wenn uns Mitgefühl und Respekt für unsere Autonomie entgegengebracht werden, neigen wir dazu, mehr Zugang zu unserem eigenen Mitgefühl für uns selbst und für andere zu haben. Wachsendes Mitgefühl trägt direkt zu unserer Fähigkeit bei, Bedürfnisse auf friedlichem Wege zu befriedigen.

  7. Menschen geben gerne: Wir genießen es von Natur aus, zum Wohlergehen anderer beizutragen, wenn wir uns mit unseren eigenen und den Bedürfnissen anderer verbunden haben und die Erfahrung machen können, dass wir frei sind, zu geben.

  8. Menschen erfüllen ihre Bedürfnisse durch Beziehungen in gegenseitiger Abhängigkeit: Wir befriedigen viele unserer Bedürfnisse durch unsere Beziehungen zu anderen Menschen und zur Natur, obwohl einige Bedürfnisse hauptsächlich durch die Qualität unserer Beziehung zu uns selbst und für manche Menschen auch mit einer spirituellen Dimension zum Leben erfüllt werden. Wenn die Bedürfnisse anderer nicht erfüllt sind, bleiben auch einige unserer eigenen Bedürfnisse unerfüllt.

  9. Unsere Welt bietet reichlich Ressourcen, um die Bedürfnisse zu befriedigen: Wenn wir Menschen uns dafür einsetzen, die Bedürfnisse aller zu würdigen, wenn wir in der Lage sind, zu erkennen, wie viel wir selbst tatsächlich brauchen, und wenn wir unsere Fähigkeiten zur Förderung der Verbindung und unsere Kreativität bei der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen wiedererlangt haben, können wir unsere gegenwärtige Krise der Vorstellungskraft überwinden und Wege finden, uns um die grundlegenden Bedürfnisse aller zu kümmern.

  10. Menschen verändern sich: Sowohl unsere Bedürfnisse als auch die Strategien, die wir zu ihrer Erfüllung haben, ändern sich mit der Zeit. Wo immer wir uns in der Gegenwart befinden und einander begegnen, individuell und kollektiv, alle Menschen haben die Fähigkeit zu wachsen und sich zu verändern.

 

II. Grundlegende Absichten bei der Verwendung der GFK

 

Klarheit über unsere Absichten zu haben, kann uns helfen, in Übereinstimmung mit unseren Werten zu leben und zu handeln. Wir verfolgen bei der Anwendung der GFK die folgenden Absichten, weil wir glauben, dass das unser Leben bereichert und zu einer Welt beiträgt, in der alle Bedürfnisse auf friedliche Weise berücksichtigt werden.

 

A. Leben mit offenem Herzen

  1. Selbstmitgefühl: Wir wollen alle Vorwürfe, Urteile und Forderungen uns selbst gegenüber loslassen und uns selbst mit Mitgefühl und Verständnis für die Bedürfnisse begegnen, die wir durch all unser Tun und Lassen zu befriedigen versuchen.

  2. Vom Herzen her ausdrücken: Wenn wir uns ausdrücken, wollen wir aus dem Herzen sprechen. Wir wollen unsere Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken und konkrete, mach-bare Bitten äußern, die den strukturellen und kulturellen Kontext, in dem wir uns bewegen, berücksichtigen.

  3. Mit Mitgefühl empfangen: Wenn wir andere hören, wollen wir die Gefühle und Bedürfnisse hinter ihren Äußerungen und Handlungen hören, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Standort und ihrer Ausdrucksweise, selbst wenn ihr Ausdruck oder ihre Handlungen nicht unseren Bedürfnissen gerecht werden (z.B. Urteile, Forderungen, Geringschätzung, Leugnung von Verantwortung oder körperliche Gewalt).

  4. Verbindung ist vorrangig: Wir streben danach, sogar in herausfordernden Situationen, uns mit offenem Herzen mit den Bedürfnissen aller zu verbinden, bevor wir nach Lösungen suchen. So steigen die Chancen für eine Lösung, die für alle passt.

  5. Jenseits von "richtig" und "falsch": Wir wollen unsere Gewohnheit, Bewertungen im Sinne von "richtig" und "falsch" vorzunehmen (moralische Urteile), ändern und uns stattdessen darauf konzentrieren, ob menschliche Bedürfnisse befriedigt erscheinen oder nicht (bedürfnisorientierte Beurteilungen).

 

B. Wahlmöglichkeit, Verantwortung, Frieden

  1. Die Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen: Wir streben danach, unsere Gefühle mit unseren eigenen Bedürfnissen zu verbinden, wobei wir erkennen, dass andere nicht die Macht haben, uns irgendetwas fühlen zu lassen. Diese Erkenntnis stärkt uns, Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, anstatt darauf zu warten, dass sich andere ändern.

  2. Verantwortung für unser Handeln übernehmen: Wir streben danach, unsere Wahlmöglichkeit in jedem Moment zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, von denen wir glauben, dass sie unsere Bedürfnisse höchstwahrscheinlich mit den geringstmöglichen Kosten für andere befriedigen werden. Wir sind bestrebt, Handlungen zu vermeiden, die durch Angst, Schuld, Scham, dem Wunsch nach Belohnung oder der Vorstellung von Pflicht, Zwang oder Verdienst motiviert sind.

  3. In Frieden leben mit unerfüllten Bedürfnissen: Wir sind bestrebt, Raum für unsere Gefühle zu schaffen und sie anzunehmen, wenn wir unsere Bedürfnisse als unerfüllt wahrnehmen und uns mit den Bedürfnissen zu verbinden, anstatt darauf zu bestehen, sie zu befriedigen.

  4. Erhöhung der Kapazität zur Befriedigung der Bedürfnisse: Wir sind bestrebt, unsere internen Ressourcen, insbesondere unsere GFK-Fähigkeiten, weiterzuentwickeln, damit wir zu mehr Verbindung und einer größeren Vielfalt von Strategien beitragen können, um mehr Bedürfnisse von mehr Menschen zu befriedigen und dabei möglichst wenig Kosten für andere und die Natur zu verursachen.

  5. Erhöhung der Kapazität dem gegenwärtigen Moment zu begegnen: Wir sind bestrebt, unsere Kapazität zu entwickeln, uns in jedem Moment mit unseren eigenen Bedürfnissen und denen anderer zu verbinden, und auf Gegebenheiten im Moment zu reagieren, anstatt durch starre Geschichten darüber, wer wir und andere sind.

 

C. Macht teilen (Partnerschaft)

  1. Wir kümmern uns voll und ganz um die Bedürfnisse aller: Wir sind bestrebt, Bitten und nicht Forderungen zu stellen, und dadurch offen zu bleiben für die Strategien anderer, zur Befriedigung ihre Bedürfnisse. Wenn wir ein "Nein" zu unserer Bitte hören oder wenn wir "Nein" zu einer Bitte eines anderen sagen, streben wir nach Lösungen, die allen Bedürfnissen gerecht werden, nicht nur unseren eigenen, und nicht nur denjenigen des anderen. Wir streben dies an, mit einem Verständnis dafür, wie sich Machtunterschiede auf unsere eigene Fähigkeit und die anderer auswirken, ein "Nein" zu hören und zu äußern.

  2. Erhöhung der Kapazität zu einer bedürfnisorientierten gemeinsamen Nutzung von Ressourcen: Wir streben danach, bedürfnisorientierte Strategien für die gemeinsame Nutzung der Ressourcen unserer Welt zu entwickeln und zu praktizieren, mit dem Ziel, die größtmögliche Zahl von Bedürfnissen für die größtmögliche Zahl von Menschen und für die natürliche Umwelt zu befriedigen.

  3. Schützende Anwendung von Gewalt: Wir sind bestrebt, die geringstmögliche Gewalt anzuwenden, um zu schützen, nicht um zu erziehen, zu bestrafen oder das was wir wollen, ohne die Zustimmung der anderen zu bekommen; mit der größtmöglichen Liebe; und nur in Situationen, in denen wir feststellen, dass der Dialog nicht auf einen unmittelbaren oder anhaltenden Schaden eingeht, insbesondere wenn es um ein Bedürfnis nach körperlicher Sicherheit geht. Wir sind bestrebt, zu den Bemühungen um die Aufnahme eines Dialogs zurückzukehren, sobald wir uns mit der vorliegenden Situation befasst haben.

 

Quelle: BayNVC.org/key-assumptions-and-intentions-of-nvc/ , abgerufen am 23.09.2019
Ins Deutsche übersetzt: Volkmar Richter – GFK-Lebensfreude.de